Bericht: Mit einem Vortrag über Perspektiven für eine sorbische Sprachdidaktik wurde die Tätigkeit am neuen Standort offiziell aufgenommen
Etwa 30 Gäste aus Wissenschaft, Politik und Bildung folgten der Einladung der Abteilung Regionalentwicklung und Minderheitenschutz/Regionalne wuwiśe a mjeńšynowy šćit (RegMje) des Sorbischen Instituts am 5.10.2023 zum ersten Vortrag am neuen Standort am Schlosskirchplatz in Cottbus. Dr. Emily Barthold (BTU Cottbus-Senftenberg/Zły Komorow) und Dr. Willi Wolfgang Barthold (TU Dresden) sprachen über einen besonderen sprachdidaktischen Ansatz. Es war zugleich der Auftakt der Reihe „RegMje pśepšosyjo“ („RegMin lädt ein“).
Die Vortragenden Emily und Willi Wolfgang Barthold gaben Impulse zur Verbesserung der sorbischen Sprachpädagogik in der Erwachsenenbildung. Unter dem Titel „Genre-based Instruction und Curriculum Desgin im Multiliteracies Framework“ eröffneten sie neue Perspektiven für den Erhalt und die sprachdidaktische Vermittlung der sorbischen Sprachen auf Grundlage ihrer eigenen Lehrerfahrungen am German Department der Georgetown University (Washington D.C., USA). Dort wird die deutsche Sprache seit vielen Jahren erfolgreich auf der Basis eines für alle Dozierenden verpflichtenden Curriculums unterrichtet. Laut den Vortragenden könne ein solcher Lehrplan dabei helfen, die Qualität der sorbischen Sprachausbildung zu sichern, indem es neben verbindlichen Lehr- und Lernzielen auch Methoden und Materialien für die Dozierenden vorgibt. Gleichzeitig könne damit eine lückenlose Kursabfolge ohne inhaltliche Redundanzen gewährleistet werden.
Darüber hinaus betonten beide, dass es wichtig sei, sprachlich sowohl die informelle als auch die formelle Ebene bedienen zu können. So sei ein Nachteil vorwiegend immersiver Lernkonzepte, dass die formellen, zu einem größeren Anteil schriftlich stattfindenden „Diskurse“ von den Lernenden nicht bewältigt werden könnten. Diese schriftsprachlichen Kompetenzen werden jedoch bei einer Anstellung in den sorbischen Institutionen gebraucht, z.B. um Mails oder Anschreiben verfassen zu können. Einwände der Zuhörenden zeigten jedoch, dass im sorbisch/wendischen Kontext auch das andere Extrem vertreten ist: Sprecher:innen also gute fachliche Aufsätze schreiben können, zugleich aber Schwierigkeiten in informellen Sprachsituationen hätten, z.B. in der Familie.
An einem Beispiel aus dem universitären Curriculum wurde der didaktische Ansatz der „Genre-based Instruction“ vorgestellt, bei dem anhand konkreter Textgenres (z.B. ein Brief an eine Behörde oder ein Telefongespräch mit einer bekannten Person) gelernt wird. Im Sinne des sogenannten Multiliteracy-Ansatzes wird dafür zunächst das Vorwissen der Lernenden aus ihren Erstsprachen aktiviert („Situated Practice“), indem beispielsweise gefragt wird, welche Grußformeln man in seinem Herkunftsland verwendet, um an eine Behörde zu schreiben. Beim zweiten und dritten Schritt, dem „Critical Framing“ und der „Overt Instruction“ wird ein möglichst authentischer, nicht didaktisierter Text aus der Zielsprache gelesen und sprachlich sowie vor seinem sozio-kulturellen Hintergrund analysiert. Der gelesene Text fungiert in der letzten Phase („Transformed Practice“) dann als sprachliches Modell, das für eine eigene, komplexe sprachliche Produktion genutzt werden kann. Inwiefern solche authentischen Texte aller Genres für die sorbischen Sprachen auf verschiedenen Niveaustufen vorhanden seien, wurde rege diskutiert; ebenso wie die Frage, ob dieser Vermittlungsansatz, der viel mit metalinguistischen Kenntnissen und Begriffen arbeitet, im Sinne einer umfassenden Revitalisierung auch für Erwachsene außerhalb universitärer Kontexte anwendbar sei. Die Vielzahl an Nachfragen, geteilten individuellen Lernerfahrungen und kritischen Anmerkungen im Anschluss an den Vortrag sind ein Ausdruck des Bedürfnisses, den durch das Zorja-Projekt bereits angestoßenen Diskurs über Didaktik für erwachsene Sorbischlernende in Zukunft weiterzuführen.
Mit der öffentlichen Veranstaltungsreihe „RegMje pśepšosyjo“ will das Team der Abteilung für Regionalentwicklung und Minderheitenschutz weitere Impulse zur gesamten thematischen Bandbreite der eigenen Arbeit mit Partnern aus Theorie und Praxis teilen und diskutieren. Die Vorträge und Diskussionsabende finden in loser Reihenfolge statt, die Termine werden frühzeitig bekannt gegeben.
Das Vorhaben wird durch die Stiftung für das sorbische Volk aus Mitteln des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Autorinnen: Sophie Rädel/Madlen Domaschke