Slavistische Konferenz der ukrainischen Iwan-Franko-Universität in Lwiw mit vielen sorabistischen Bezügen. Wissenschaftlicher Austausch in schweren Zeiten
Ein Beitrag von Fabian Kaulfürst, veröffentlicht am 5. April 2023
Allen Kriegsgefahren und -gräueln zum Trotz organisierten die Slawisten der Lwiwer Iwan-Franko-Universität gemeinsam mit dem ukrainischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft am 30. und 31. März eine slawistische Konferenz mit starkem sorabistischem Hintergrund. Das Treffen war einer der zentralen Persönlichkeiten der ukrainischen Sorabistik gewidmet: Kostjantyn Trofymowyč (1.4.1923-29.3.1993). Abgehalten wurde es anlässlich des 100. Jubiläums seines Geburtstages und seines 30. Todestages.
Der Austausch fand in den Räumlichkeiten der Lwiwer Universität statt, vor allem jedoch digital. So konnten neben den Teilnehmern aus der Ukraine auch Gäste aus weiteren Ländern, beispielsweise der Slowakei, Polen, Bulgarien, Großbritannien und der Lausitz mit einem Beitrag die Konferenz bereichern. Die Lwiwer Wissenschaftler waren sichtlich erfreut, dass mit dem wissenschaftlichen Austausch ein Stück „normalen Lebens“ in ihren Alltag zurückgekehrt war.
Die beklemmende Realität konnte trotzdem nicht ganz ausgeblendet werden, schon in der Einladung stand: „Falls es Luftalarm gibt, bitten wir die Teilnehmer aus der Ukraine, sich in den nächstgelegenen Schutzraum zu begeben und möglichst von einer sicheren Örtlichkeit aus weiter zu arbeiten.“ Die Gäste wurden vom Prorektor für akademische Angelegenheiten der Lwiwer Iwan-Franko-Universität, Wolodymyr Kačmar, vom Dekan der philologischen Fakultät, Roman Krochmalnyj und von Fabian Kaulfürst, dem Vertreter des Sorbischen Instituts begrüßt. Letzterer hob die langjährige Zusammenarbeit des Lausitzer Forschungsinstituts mit den Lwiwer Slawisten hervor, die fortgesetzt und ständig mit neuem Leben gefüllt werden soll.
Eine gelungene Überraschung war, dass zu Beginn der Mädchenchor „Lira“ (Lyre) unter Leitung von Oksana Melnyčuk die sorbische Hymne „Rjana Łužica“ intonierte. Die Interpretation der Künstlerinnen im repräsentativen und akustisch gefälligen Treppenhaus der Universität war herausragend. Auch den zweiten Konferenztag gestaltete die Gruppe mit einem sorbischen Gesangsstück: mit Zejlers „Młóckowski spěw“ (Lied der Drescher).
Der eigentliche Konferenzteil begann damit, dass ehemalige Kollegen und Studierende des geehrten Trofymowyč gedachten. Insgesamt schlossen sich an die 30 sprach-, literatur- und kulturwissenschaftliche Vorträge an.
Viele davon hatten einen sorabistischen Schwerpunkt. Elena Ljubenowa stellte die erste bulgarisch verfasste Grammatik des Obersorbischen sowie die erste Monografie der bulgarischen Sorabistik vor. Oleksander Motornyj präsentierte das literaturwissenschaftliche Schaffen Wolodymyr Motornys und beleuchtete gleichzeitig dessen vielseitige Kontakte in die Lausitz. Małgorzata Mieczkowska, die wiederholt am Sommerkurs für sorbische Sprache und Kultur des Sorbischen Instituts teilgenommen hat, sprach über den Maler Jan Buk und zur Rezeption seines Schaffens in Polen. Die sorbische Literatur in bulgarischen Übersetzungen von Georg Wilčew stellte auf der Grundlage deutschen Archivmaterials Olesja Lazarenko vor. Eine „märchenhafte Matrix der sorbischen Kinderliteratur“ besprach Olha Krawec. Fabian Kaulfürst aus der Cottbuser Zweigstelle des SI untersuchte das Auftreten der Endungen -u, -oju, -eju im Datiw Dativ Singular der Maskulina und Neutra im Niedersorbischen. Er verglich die Verteilung der Endungen im Textkorpus als auch im Korpus der gesprochenen Sprache mit dem Stand der Mustertabellen des Deutsch-niedersorbischen Online-Wörterbuchs.
Zu einem spannenden und zugleich rührenden Augenblick kam es, als im digitalen Konferenzraum ein nicht angemeldeter Teilnehmer auftauchte, der sich als Freund der Familie Trofymowyč vorstellte. Seine innere Unruhe war ihm anzumerken. Nach einigen erklärenden Worten verriet er, dass er in Moskau sitzt. Er drückte sein Mitgefühl für das ukrainische Volk aus. Am Ende sprach der mutige Gast, der ukrainisch sprach, noch ein öffentliches „Slawa Ukrajini“.