Missionsraum Lausitz. Die sorbische Missionsbewegung zwischen globaler Ausrichtung und nationaler Mobilisierung
„Lubosć k misionstwu je našemu narodej přinarodźena“ (Die Liebe zur Mission ist unserem Volk angeboren), so Ota Wićaz, der Begründer der sorbischen Kulturgeschichte im Jahr 1937. Tatsächlich begaben sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts über 60 evangelische SorbInnen in den Missionsdienst, zunächst im Auftrag der Brüdergemeine, später im Dienst verschiedener Missionsgesellschaften. Durch Berichte aus den Missionsstationen, Missionslieder, Missionsstunden und ein reges Traktatwesen wurde der Missionsgedanke in der sorbischen Öffentlichkeit zunehmend thematisiert und prägte den öffentlichen sorbischen Diskurs bzw. stellte diesen erst her. So waren etwa die ersten sorbischen Zeitschriften Missionszeitschriften und ab Mitte des 19. Jahrhunderts regelmäßig abgehaltene Missionsfeste stellten erste große überregionale sorbische Versammlungen dar, in denen die Themen „Mission“ und „Nation“ aufs engste miteinander verwoben wurden. Sorbische Missionsvereine stützten diese Bewegung und zählen zu den aktivsten Vereinen des 19. Jahrhunderts.
Im Fokus eines Großteils dieser Missionsaktivitäten standen zwar Länder außerhalb Europas, doch hinterließ die Missionsbewegung auch in der sorbischen Lausitz bleibende Spuren (z.B. Missionsschulanstalten und Missionswitwenhaus der Brüdergemeine im sorbischen Gemeinort Kleinwelka) und trug zur Transformation der sorbischen Gesellschaft bei. Denn die Schaffung publizistischer Diskurse, öffentlicher Räume und gesellschaftlicher Strukturen unter dem Schlagwort „swjate misionstwo“ (heilige Mission) prägte die Institutionalisiserung sorbischer Kultur maßgeblich. Dabei stand die sorbische Missionsbewegung von Beginn an in einer spannungsvollen Wechselbeziehung zur gleichzeitig beobachtbaren Nationalisierung. Dementsprechend steht im Fokus der Untersuchung nicht primär das Wirken sorbischer MissionarInnen an den jeweiligen Missionsstandorten, sondern die Frage, welche Rolle die Missionsbewegung unter den Sorben spielte. Inwieweit trug die von weiten Bevölkerungsteilen getragene Missionsbewegung zur gesellschaftlichen Integration und Institutionalisierung sorbischer Kultur bei bzw. wirkte sich destabilisierend auf diese Prozesse aus? In welchem Maß ließ sich die Missionsbewegung in die nationale Bewegung integrieren, wo grenzten sich beide voneinander ab bzw. vereinnahmten sich gegenseitig? Unterstützte die Missionsbewegung den Prozess des nation-buildings oder unterwanderte sie diesen? Es gilt somit „Mission“ und „Nation“ in einem weiten Spannungsbogen zwischen globaler Ausrichtung und nationaler Mobilisierung zu fassen. Dabei konzentriert sich das Vorhaben auf die äußere Mission und beschränkt sich zeitlich auf das 18. und 19. Jahrhundert. Die dezidierte geschlechtergeschichtliche Perspektive und die Bearbeitung ausgewählter Einzelschicksale sorbischer MissionarInnen möchten die bisherige auf Männer fokussierte sorbische Geschichtsschreibung aufbrechen.
Projektbeteiligte: Lubina Mahling