Erzählen über die Mittagsfrau. Zur ‚Lebensgeschichte‘ eines weiblichen Dämons in Mittelosteuropa
Veranstaltungsort: Evangelisches Friedrich-Forell-Zentrum Wittichenau, Forellverein e.V., Kolpingplatz 8, 02997 Wittichenau
Wer kennt sie nicht, die Mittagsfrau – die obersorbische Připołdnica, tschechische Polednice, polnische Południca bzw. russische Poludennica? Den Sagen nach taucht sie immer dann auf, wenn die Mittagshitze sengend über den Felder liegt und keine vernünftige Menschenseele mehr ackert. Plötzlich und unvermittelt steht die numinose hagere Gestalt vor denjenigen, die es versäumt haben, vor der mittäglichen Geisterstunde nach Hause zu gehen. Ihre grell blendende Erscheinung, oft begleitet von einem vernehmbaren Windstoß, soll Lebensverdruss hervorrufen, zu Wahnsinn führen oder gar den Tod bringen. Laut spätantiker, früher christlicher und mittelalterlicher Schriften peinigte das „daemonium meridianum“ jedoch nicht nur Bauersleute, sondern auch Mönche und Edelmänner. Entsprechende Erlebnisberichte finden sich in der Chronik-, Historien- und Kuriositätenliteratur ebenso wie in Sammlungen von Predigtmärlein und Sagen. Schließlich haben auch die klassischen Nationaldichtungen und die romantische Literatur die Narrative über den weiblichen Mittagsdämon transportiert. In der Gegenwart zeigt uns vor allem das virtuelle Erzählen – besonders die Genre Fantasy und Horror – wie jene Glaubens- und Erzählinhalte über das Unwesen der Mittagsfrau in neuen Kreationen aufleben. Der reich bebilderte Vortrag spürt den verschiedenen Überlieferungssträngen nach.