Cottbus/Chóśebuz - 22.11.2024

Ultima Raka – Reportage eines Linguisten über einen besonderen Fanclub

Eine Gruppe von Fans des FC Energie Cottbus mit dem Namen Ultima Raka ist mit ihren Aufklebern im öffentlichen Raum in der Niederlausitz sichtbar – auch mit der sorbischen/wendischen Sprache. Eine Reportage von Simon Blum.

Ultima Raka (aus dem Sorbischen/Wendischen rak ‚Krebs‘) ist ein engagierter Fanclub von Energie Cottbus. Er fällt mit seinen rot-weißen Graffiti, bemalten Trafokästen, kunstvoll gestalteten Wappen aus Styropor und vor allem Aufklebern auf. Bei Feldforschungen zur öffentlichen Sichtbarkeit der sorbischen/wendischen Sprache in der Niederlausitz (s.u.) sind mein Kollege und ich darauf gestoßen. Bisher haben wir Spuren von Ultima Raka (UR) unter anderem in Calau, Drebkau, Lübben, Peitz, Spremberg, Vetschau, und in beinahe allen Stadtteilen von Cottbus entdeckt. Mal wimmelte es geradezu vor UR-Aufklebern, an anderen Stellen waren sie nur vereinzelt zu finden – dafür waren da andere Fanclubs wie Ultras Energie oder Collettivo Bianco Rosso präsenter. Im Gegensatz zu diesen verwenden die „Krebse“ stellenweise auch die sorbische/wendische Sprache, insbesondere den Namen Chośebuz (ältere Schreibweise, heute: Chóśebuz). In einem Infoflyer aus dem Jahr 2003 erklärt der Club: „Ultima Raka ist aus dem Sorbischen entnommen. Raka heißt Krebs (Wappentier der Stadt) und soll deutlich unsere tiefe Verbundenheit mit dem FC Energie Cottbus und unserer Heimatstadt ausdrücken.”

Das machte mich neugierig. Ich wollte mehr über die Motivation erfahren und habe mich mit Flori und Chrischi von UR getroffen. Flori ist seit ungefähr 2010 dabei, Chrischi war eines der ersten Mitglieder der Gruppe – und er hat wendische Vorfahren. Seine Großeltern lebten in Burg und seine Großmutter konnte noch fließend Wendisch sprechen. Er selbst hat die Sprache in der Schule gelernt, verwendet sie jedoch nicht im Alltag. Flori hatte bisher weniger Kontakt mit dem Sorbischen/Wendischen, kennt aber einige Wörter und Floskeln.

Wie ist Ultima Raka entstanden und woher kam der Name?

Als UR 2002 gegründet wurde, gab es wohl nur 25 bis 30 Mitglieder. Einige hatten sich von anderen Fan-Gemeinschaften abgespalten, unter anderem von der damals dominierenden Ultra-Gruppierung Inferno Cottbus (die sich 2017 als Reaktion auf eine drohende Strafverfolgung aufgelöst hat). Die Vorstellungen, wie sich die Fanszene entwickeln sollte, gingen damals zu weit auseinander. UR wollte fortan eine kreative Fankultur pflegen und politisch-ideologische Fragen ausklammern. Von Chrischi erfahre ich, dass es bis heute sehr unterschiedliche politische Einstellungen unter den UR-Mitgliedern gebe, aber: „Wir tragen das nicht ins Stadion.“

Unter den Gründern waren auch (ehemalige) Schüler des Niedersorbischen Gymnasiums (NSG), die den Namen Ultima Raka – von UR als ‚extreme Krebse‘ übersetzt – mit auswählten. Die Form Raka (statt grammatikalisch korrekt Rak) sehen Flori und Chrischi heute als „stilistisches Mittel“ an. Es klinge besser als Ultima Rak oder Ultimo Rak. Apropos Ultima: Das aus dem Italienischen stammende Adjektiv verweist auf die Anfänge der Ultra-Bewegung in den 50er und 60er Jahren in Italien.

Welche Rolle spielt das Sorbische/Wendische bei Ultima Raka?

„Das Sorbische gehört zur Region wie der Fußball“, sind Flori und Chrischi überzeugt. Deswegen hat die Gruppe schon früh eine Zaunfahne für das Stadion mit der Aufschrift Chośebuz und den Farben der sorbischen/wendischen Flagge (blau, rot, weiß) gestaltet. Auch auf ihrem Wappen mit dem Cottbuser Krebs steht „ULTIMA RAKA – CHOŚEBUZ 2002“. Das Sorbische/Wendische war schon zur Gründung von UR „ein Alleinstellungsmerkmal“.

Viele Fans haben sich dem Club angeschlossen. Auch heute seien wohl Schüler des NSG unter den aktiven Mitgliedern. Von den ersten sorbischen/wendischen Elementen hat zumindest eine Handvoll überdauert, und es sind sogar neue hinzugekommen. Als Energie Cottbus 2003 aus der ersten Bundesliga abstieg, haben die „Krebse“ ein Transparent mit folgendem Text gemalt: „AUF WIEDERSEHEN AUF SORBISCH: na zasejwiźenje“. Auch andere sorbische/wendische Sprüche sollen im Stadion gezeigt worden sein. Einzelne Wörter schmücken zudem Fankleidung wie Schals oder T-Shirts. Flori hat zum Beispiel ein T-Shirt entworfen, auf dem unter dem typischen UR-Krebs das Wort „MŁOŹINA“ prangt. Die deutsche Entsprechung Jugend erschien ihm dafür „zu langweilig“.

So ist die sorbische/wendische Sprache bei UR zwar nicht Umgangssprache, wird aber gezielt als Symbol für die enge Verbindung zur Heimat eingesetzt.

Warum die Aufkleber?

Die geschriebene sorbische/wendische Sprache findet man im öffentlichen Raum der Lausitz meist nur auf zweisprachigen Ortstafeln, Wegweisern oder an öffentlichen Gebäuden (z.B. Ämter, Schulen). Sie markieren das offizielle Siedlungsgebiet der Sorben/Wenden in Brandenburg und Sachsen. Die UR-Aufkleber – als wichtiger Teil der Fankultur – dagegen entstanden nicht aufgrund von Gesetzen und Verordnungen („von oben“), sondern sind formal gesehen eine Privatinitiative „von unten“. Meist wurden sie ohne offizielle Erlaubnis aufgeklebt und halten sich auch nicht an das sorbische/wendische Siedlungsgebiet. Eine Parallele allerdings gibt es: Sie markieren ein bestimmtes Territorium. Für UR ist es jene Region, in der Energie-Fans aktiv sind: im Norden fast bis nach Berlin, im Osten bis nach Forst und an die polnische Grenze, im Süden grenzt sie an Sachsen (wo das „Dynamo-Land“ beginnt) und im Westen umfasst sie die Landkreise Elbe-Elster und Teltow-Fläming. Insbesondere in den Grenzgebieten konkurrieren die „Cottbuser“ oft mit anderen Fanclubs. Deswegen werden die Aufkleber nicht selten übermalt, zugeklebt oder abgerissen. Diese „Revierkämpfe“ vergleichen Flori und Chrischi mit der Graffiti-Szene: “Man will seinen Namen sehen.”

Wie weiter?

Was das Sorbische/Wendische angeht, gibt es bei UR keine konkreten Pläne. Im Moment will man sich vor allem auf die aktuelle Saison in der dritten Liga konzentrieren. Aus diesem Anlass stehen ein neuer Fanschal, ein neues Shirt und neue Aufkleber zum Verkauf – diesmal allerdings ohne ein sorbisches/wendisches Wort. „Chośebuz“ wurde durch „Cottbus“ ersetzt, das Alleinstellungsmerkmal fehlt. Vielleicht wird es in Zukunft wieder neue sorbische/wendische Elemente geben? Für diesen Fall habe ich schon sprachliche Unterstützung zugesagt.

Die im Text erwähnten Feldforschungen werden am Sorbischen Institut durchgeführt und sind Teil des Projekts Sorbische Elemente der Sprachlandschaft Niederlausitz. Dieses wiederum ist Teil des Gesamtvorhabens Digitales Portal zu sorbischen und Lausitzer Sprach- und Kulturlandschaften und wird von der Stiftung für das sorbische Volk aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern und für Heimat aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Autoren: Simon Blum, Madlen Domaschke