Gastwissenschaftler untersucht die Funktion der sorbischen Sprache beim lokalen Fußball
Dr. Kristian Naglo ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt Empower – Community Lab an der Katholischen Hochschule in Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Bereiche „Kultursoziologie“, „Sportsoziologie“ und „Sprachsoziologie“ mit den Schwerpunkten Interkulturalität, „Fußballwelten“ und Mehrsprachigkeit. Am Sorbischen Institut Bautzen forschte er im März und August/September 2023 im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes. Im Gespräch mit Jan Bogusz, wissenschaftlicher Mitarbeiter und aktiver Fußballer, verrät er unter anderem, was ihn genau am Fußball fasziniert, warum er sich mit diesem Sport wissenschaftlich auseinandersetzt und was die Gründe dafür waren, den Fußball am Beispiel der Sorben aus soziologischer Perspektive zu untersuchen. Das Gespräch mit Kristian Naglo führte Jan Bogusz im September 2023.
Herr Naglo, woher stammt Ihre Faszination für den Fußball?
Ich bin im ländlichen Rheinland-Pfalz (Wirges im Westerwald, bei Koblenz) groß geworden und habe schon im Kindergarten Fußball gespielt. Meine Eltern haben mich dann im Verein angemeldet. In Wirges wurde immer schon relativ hochklassiger Amateur- und Jugendfußball gespielt (Eintracht Glas-Chemie Wirges). Fußball wurde für mich immer wichtiger, auch, weil ich einigermaßen talentiert war.
Mit der A-Jugendmannschaft des 1. FC Kaiserslautern wurden Sie in der Saison 1990/1991 deutscher Vizemeister. Sicherlich der Höhepunkt ihrer fußballerischen Laufbahn?
In bin in der A-Jugend nach Kaiserslautern gewechselt. Wir kamen bis ins Endspiel der letzten rein westdeutschen Meisterschaft gegen die U19 des VFB Stuttgart, die damals von Ralf Rangnick trainiert wurde. Das war im Rückblick ein tolles Erlebnis. Aber auch Spiele gegen andere Top-Mannschaften auf Turnieren waren besonders. Vor allem Bayern München war sehr stark in meinem Jahrgang (1973), mit Hamann, Babbel u.a. Die Profis des 1. FC Kaiserslautern sind damals auch noch Deutscher Meister geworden, da war die Stimmung in der Stadt natürlich super.
Wann begannen Sie sich auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Fußball auseinanderzusetzen?
Das war während meiner Zeit an der Lancaster University 2012/13, wo ich im Fach „German Studies“ unterrichtet habe und natürlich auch Fußball spielte. Mit meinem Kollegen Tony Waine, der in den späten 1960er Jahren Erfahrung im westdeutschen Amateurfußball gesammelt hatte, haben wir uns gefragt, ob es klar abgrenzbare Fußballkulturen in der globalisierten Welt von heute noch gibt, und wenn ja, was diese ausmachen. Wir haben dann ein Buch herausgegeben, dass sich grob mit dem Vergleich Deutschland-England beschäftigt. Seitdem forsche ich vor allem auch zum Amateurfußball aus alltagssoziologischer Sicht. Das interessiert mich als einen am Alltag interessierten Soziologen besonders.Vor allem am Beispiel der Vereine, im Bereich des organisierten, nicht-professionellen Fußballs lassen sich Fragen des Alltags thematisieren. Später habe ich dann mit meinem englischen Kollegen Dilwyn Porter das Forschungsnetzwerk „Small Worlds of Football“ gegründet, in dem wir uns international vergleichend vor allem mit dem nicht-elitären Fußball aus unterschiedlichen Perspektiven beschäftigen.
Was genau macht den Fußball Ihrer Meinung nach so besonders und warum lohnt es sich, ihn aus soziologischer Perspektive näher anzuschauen?
Fußball – oder allgemein Sport – ist ein zentraler gesellschaftlicher Teilbereich, der sich durch intensiven zwischenmenschlichen Kontakt und verschiedene Kommunikationsformen auszeichnet. Er ist außerdem eine hoch ritualisierte Praxis, die Symbolik, eine soziale Ordnung und damit Bedeutung produziert. Fußball teilt die Teilnehmenden in Familie und Gegenfamilie, in Stämme quasi, und bietet so starke Identitätsangebote. Ich habe das in meinen zahlreichen Stationen als Fußballer und Trainer immer wieder erlebt. Viele soziologische Fragestellungen lassen sich hier anschließen, wie z.B. die Idee von Optimierung, die den Fußball in Vereinen prägt. Es geht zum einen immer um die Frage, wie man die eigene Existenz sichern und gleichzeitig darum, wie man sich immer weiter verbessern kann, unabhängig davon, ob wir über Profi- oder Amateurfußball sprechen. Diese Grundidee hat der Fußball auch mit der Schule gemein. Die Verbindung von Fußballverein und Schule ist daher logische Konsequenz und auch eines meiner Forschungsthemen.
Vor allem hier in Europa ist Fußball ohne Zweifel die Sportart Nummer 1. Wie erklären Sie sich die Popularität für gerade diesen Sport?
Spiele, in denen der Ball mit den Füßen bewegt wird, reichen historisch sehr weit zurück. Als der moderne Fußball im 19. Jahrhundert in den so genannten Public Schools (Schulen für die Oberschicht, nur Jungen!) in England institutionalisiert wurde, war er in der Arbeiterschaft bereits populär und konnte an diese Vorläufer anschließen. Die spätere Kodifizierung über Fußballregeln (mit Hand oder ohne; Ist das Treten gegen die Schienbeine des Gegners ein Foul?) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem durch Mitglieder der Oberschicht in den Schulen und Universitäten brachte stabile Institutionen und Wettbewerbsstrukturen hervor. 1888 wurde bereits die erste Profiliga in England eingeführt, womit der Fußball dann endgültig den Schritt zum Zuschauersport der Arbeiterschaft machte. Fußball war kein Sport, der die überlegenen ‚Werte‘ des britischen Empire in die Kolonien transportieren sollte, wie etwa Rugby oder Cricket. Vielmehr wurde er vor allem durch Handelsreisende und Studierende sowie Lehrer um die Welt getragen, er war also sehr schnell globalisiert; die FIFA etwa wurde 1904 gegründet. Der erste Weltkrieg hat weiter zur Verbreitung beigetragen, da viele Soldaten während des Kriegs mit dem Spiel in Kontakt kamen. In den frühen zwanziger Jahren gibt es dann viele Vereinsneugründungen. Siehe z.B. den berühmten Christmas Truce (Weihnachtsfrieden) 1914, wo zwischen den Schützengräben Fußball gespielt wurde.
Ein nächster Schritt war die Entwicklung des Spiels nach dem II. Weltkrieg mit der massenhaften Verbreitung des Fernsehers, später dann des Farbfernsehens. Fußball ist, so könnte man argumentieren, wie geschaffen für das Medium, schließlich dauert ein Spiel 90 Minuten, genau die Länge eines durchschnittlichen Spielfilms.
Warum der Fußball allerdings überhaupt so attraktiv für so viele Menschen ist und mit seiner Verbreitung in Deutschland z.B. sehr schnell die Vormachtstellung des Turnens in Frage stellen konnte, steht auf einem anderen Blatt. Ich persönlich tendiere zur These, dass die relative Einfachheit des Spiels anspricht: im Prinzip braucht man nur einen Ball. Faszinierend ist für mich außerdem die fehlende Kontrolle, die mit der ausschließlichen Handhabung des Balls durch die Füße einhergeht und damit immer ein chaotisches Element mit sich bringt. Diese schwierigste Art der Ballkontrolle und -zirkulation kombiniert mit körperlichem Vollkontakt (Zweikämpfe!) und relativ leicht zu erlernenden Regeln macht das Spiel m.E. für viele Zuschauerinnen und Zuschauer sehr attraktiv, u.U. attraktiver als andere Sportarten.
Aktuell forschen Sie im Rahmen eines Research Fellowships am Sorbischen Institut in Bautzen. Was sind die genauen Vorhaben Ihres Projektes?
Den ersten Kontakt hatte ich zu Herrn Dr. Friedrich Pollack, der mir von der Möglichkeit des Fellowships in Bautzen am Institut erzählte, was ich dankbar aufgegriffen habe. Vor Ort haben mir verschiedene Personen in Gesprächen bereits einen tieferen Einblick und ein besseres Verständnis sorbischen Lebens gewährt [die Redaktion hat die Aufzählung der Namen an dieser Stelle gekürzt].
Die Thematik der Minderheiten, die immer auch die „Sprachenfrage“ stellt, interessiert mich schon länger. In meiner Promotion habe ich mich beispielsweise vergleichend mit Rollen von Sprache in mehrsprachigen Gesellschaften in Europa beschäftigt, und zwar Südtirol, dem Baskenland und Luxemburg.
Im sorbischen Kontext interessiert mich vor allem, wie Menschen in sozialen Welten des Fußballs (z.B. in Vereinen), also in ihrer Freizeit, ihren Alltag thematisieren und beschreiben und aus welchen Bereichen ihr Wissen kommt, z.B. aus dem „Fußball“, der „Sorbischen Kultur“, der „Jugend- oder Subkultur“ usw.
Auf welche Themen konzentrieren Sie sich dabei konkret in Ihrer Untersuchung?
Leitfragen der Untersuchung sind z.B.: Wo und wie trifft das Wissen aus unterschiedlichen sozialen Bereichen in der Vereinswelt aufeinander, konkurriert, schafft Konflikte oder Ambivalenzen? Wo ergänzt es sich? Was bedeutet soziale Teilnahme im Verein? Welche Funktion hat die sorbische Sprache? Wie hängt das mit sozialen Interaktionen, dem Prestige und der Positionierung in der lokalen Gemeinschaft zusammen? Kommunikative Stilisierung ist außerdem interessant: Gibt es einen sorbischen Stil, eine sorbische Art und Weise etwas zu tun? Was wird erinnert und betont, was ist also wichtig und was rückt in den Hintergrund und ist weniger bedeutungsvoll?
Im Fußball geht es auch immer um Regeln kollektiver Zugehörigkeit und nationaler Identitäten, um Selbst- und Fremdverortung. Ein gutes Beispiel ist die sorbische Fußballauswahl der Männer und Frauen. Diejenigen der Männer wird im nächsten Jahr in der Europeada die sorbischen Farben vertreten. Auch hier stellt sich die Frage: Auf welcher Grundlage wird ausgewählt, wer darf mitspielen? Das ist offensichtlich nicht nur eine sportliche Frage.
Bei der Frage von kollektiven Zugehörigkeiten interessiert mich auch das Phänomen des „Stars“, dass man gut auf den sorbischen Kontext übertragen könnte. Wer also ist ein sorbischer Star, was macht ihn aus?
Was macht diese Frage so besonders?
Stars als Figuren der Außeralltäglichkeit können aus allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen kommen, dem Sport, der Musik, Literatur, Film und Fernsehen, (Lokal)Politik usw. Der Vorteil am Starbegriff ist, dass er die Frage in die Gegenwart bringt und eine Stellungnahme einfordert. Wird jemand als Star identifiziert, muss man sich dazu verhalten, z.B. ablehnend oder anerkennend. Stars als Symbole produzieren und spiegeln soziale Verhältnisse, sie sind als zeitspezifische Indikatoren diskussionswürdig. Wie wird in ‚Startexten‘ das Sorbische inszeniert, wie wird darüber erzählt? Ein breiter Starbegriff kann natürlich auch Märchen beinhalten. Einbeziehen kann man über den Starbegriff vor allem auch Pop-Perspektiven. Welche pop-, jugend- oder subkulturellen Phänomene sind im sorbischen Kontext von Bedeutung? Wie lassen sich gegenwärtige Konstellationen beschreiben? Die Welt der Stars kann in diesem Sinne helfen, Alltagswelten zu deuten.
Vielen Dank für die interessanten Einblicke in ihre Forschung!
Hinweis: Die Bewerbungsfrist für ein Research Fellowship im Jahr 2024 am Sorbischen Institut endet am 15. November!